Selbstgespräche – die Macht der eigenen Worte.

Viele Sportler sind sich nicht darüber im Klaren, in welchem Masse ihre sportliche Leistung durch ihren inneren Dialog beeinflusst wird und welche Macht die eigenen Worte auf sie ausübt. Es gibt einige Untersuchungen, die aufzeigen, dass negative Gedanken mit einer schlechteren sportlichen Leistung einhergehen. Timothy Gallway, ein US-amerikanischer Sportpädagoge, hält Zweifel sogar für den grössten Feind guter Leistungen.

 

Bis zu 5000 Selbstgespräche täglich.

Praktisch alle unsere Handlungen sind von Gedanken begleitet. Wir sprechen also permanent mit uns. Wissenschaftler haben herausgefunden, dass jeder von uns etwa 3000 bis 5000 kurze Selbstgespräche pro Tag führt. Wie auf einem Endlosband geben wir uns Anweisungen, kritisieren und bewerten, ordnen unsere Gedanken oder kommentieren das eigene Handeln. Diese Selbstgespräche erfolgen meist automatisch und sind uns oft gar nicht bewusst. Meistens ist uns auch nicht bewusst, wie wir mit uns sprechen. Doch dies ist entscheidend. Schätzungen zufolge sind 80 Prozent dieser unbewussten Selbstgespräche negativ und wirken sich störend auf unser Denken und Fühlen aus.

 

Der Geist bremst den Körper.

Viele Sportlerinnen und Sportler beschimpfen sich selbst, wenn ihnen ein Fehler unterlaufen ist oder sie bleiben mit ihren Gedanken an vorausgegangenen Fehlern hängen. Manche trauen sich eine bevorstehende Aufgabe gar nicht zu. "Wie soll ich das bloss schaffen?!", "Gegen diese Konkurrenz habe ich sowieso keine Chance!" oder "Im Training konnte ich das auch nicht!" verschlechtern die sportliche Leistung automatisch.

 

Die Gedanken selber in die Hand nehmen.

Können wir unsere Selbstgespräche kontrollieren und damit unser Denken und Fühlen lenken? Wir alle haben die Wahl, das berühmte Glas halbvoll oder halbleer zu sehen. Wir entscheiden selber, ob wir in einer bestimmten Situation eher das Positive oder das Negative bemerken. Normalerweise empfinden wir etwas als positiv, wenn das eintrifft, was wir erwarten oder wenn das Eingetroffene unseren Erwartungen übertrifft. Als negativ empfinden wir, wenn das, was wir erwarten nicht eintrifft. Dass heisst, dass nicht die Situation ausschlaggebend ist, wie wir etwas mental verarbeiten, sondern unsere Bewertung der Situation. Und das ist die gute Nachricht. Ob wir uns bei der Besichtigung eines Springparcours von der Höhe der Hindernisse mit Sätzen wie "Oh, der Oxer ist aber hoch!" einschüchtern lassen oder uns auf die herausfordernde Aufgabe freuen, ob wir die starke Konkurrenz auf der Starterliste als Motivation sehen oder als Grund für ein mögliches Scheitern und ob wir uns vor dem Wettkampf immer noch unsere vergangenen Misserfolge vor Augen führen oder an Erfolge denken, können wir selber entscheiden. 

 

Denken und fühlen bewusst lenken heisst, sich immer wieder von Neuem zu entscheiden:

  • was wir wahrnehmen möchten.
  • worauf wir unseren Fokus setzen wollen.
  • wie wir darüber denken.
  • wie lange wir uns damit beschäftigen wollen.

Mit der richtigen Technik kann sich jede Sportlerin und jeder Sportler ein nützliches Repertoire an positiven Selbstgesprächen aneignen. Mit etwas Übung lassen sich konkrete leistungsfördernde Selbstgespräche automatisieren, verinnerlichen und im richtigen Moment einsetzen.

 

Selbstgespräche als Handlungsanweisung – ein Beispiel aus der Praxis

Eine Springreiterin kam vor einiger Zeit zu mir und berichtete, dass ihr und ihrem Pferd meistens das Anreiten eines Sprunges aus einer engen Wendung heraus Probleme bereitete. Wenn die beiden im Training locker drauf waren und einen guten Rhythmus fanden, beherrschten sie die Sprünge aus der Wendung heraus problemlos. Schwierig wurde es meistens immer dann, wenn es für sie in wichtigen Turnieren darum ging, eine gute Klassierung zu holen.

 

Ein Bestandteil des psychologischen Trainings mit ihr war die Analyse ihrer Selbstgespräche während ihres Ritts. Vor allem die mit dem Anreiten eines Sprunges aus einer engen Wendung heraus verknüpften Selbstgespräche haben wir genauer analysiert. Es zeigte sich, dass sie sich immer dann, wenn es um das korrekte Anreiten ging, Gedanken um die Folgen eines möglichen Fehlers machte: "Oh Gott, jetzt kommt er, der Sprung aus der Wendung, hoffentlich finde ich eine gute Distanz!"

 

Die Reiterin konzentrierte sich nicht auf die korrekte Ausführung, sondern befasste sich mit den möglichen Konsequenzen, falls sie die richtige Distanz zum Sprung nicht finden würde. Sie reagierte darauf mit Verkrampfung und oft sogar mit Angst. Und das spürte ihr Pferd direkt. 

 

Den Fokus verändern.

Um wieder auf die Erfolgsspur zurückzufinden, musste sie beginnen, ihre leistungsmindernden Gedanken wegzubringen und ihren Fokus auf die Technik zu richten. Dies gelang ihr durch konkrete Handlungsanweisungen. Zuerst hat sie die wichtigsten Handlungsschritte herausgearbeitet, die notwendig sind, um einen Sprung aus der Wendung korrekt anzureiten. In ihrem Fall waren es folgende Schritte: 

  • Blick zum Sprung
  • Tempo und Spannung in der Wendung halten
  • Hände tief, Pferd vor dem Bein, vorwärts
  • Ruhe bewahren, die Distanz kommt, geschmeidig bleiben

Kurz und prägnant formulieren.

Es stellte sich heraus, dass diese Formulierungen zu viel Zeit in Anspruch nahmen. Darum hat sie die Anweisungen verdichtet: "Blick – Tempo – vorwärts – Ruhe." "Blick" war das Synonym dafür, den Kopf zu wenden und zum Sprung zu schauen. "Tempo" stand dafür, das Tempo und die Spannung des Pferdes nicht zu verlieren, "vorwärts" bedeutete, das Pferd aktiv vor dem Bein und die Hände dabei tief zu halten und mit "Ruhe" gab sie sich die Anweisung, ruhig und trotzdem geschmeidig zu bleiben und auf die korrekte Distanz zu warten. Sie wusste, dass sie die korrekte Distanz sah, wenn sie sich an genau diesen Ablauf hielt. Wesentlich war nun, dass sie diese Formulierungen auch im Training permanent mit dem Anreiten eines Sprunges verknüpfte und systematisch einübte. So schaffte sie es, störende Gedanken gar nicht erst zuzulassen, ihre Aufmerksamkeit aufs Wesentliche zu lenken und besser zu reiten. 

  

Selbstgespräche optimieren Handlungen, motivieren oder relativieren.

Selbstgespräche können gezielt eingesetzt werden. Im geschilderten Fall haben sie eine Aufmerksamkeitsveränderung bewirkt und die Athletin dazu gebracht, sich besser auf ihr Handeln zu konzentrieren. Andere Sätze wie zum Beispiel "Komm schon, beiss durch, du hast es bald geschafft!" eignen sich dazu, sich zu motivieren oder den "inneren Schweinehund" zu überwinden. Mit Selbstgesprächen können wir auch die Bedeutsamkeit eines als beanspruchend erlebten Ereignisses verringern und relativieren. Gedanken wie "das nächste Mal klappt es besser" oder "dafür, dass ich das erste Mal dabei war, habe ich es ganz gut gemacht" oder "unter diesen Umständen war einfach nicht mehr möglich" helfen uns, mit Niederlagen oder Enttäuschungen besser fertig zu werden.  

 

Selbstgespräche stehen jeder Athletin und jedem Athleten in jeder Situation zur Verfügung. Sie beeinflussen unsere sportliche Leistung entscheidend. Probiert doch einfach einmal aus, eure Gedanken in entscheidenden Situationen bewusst zu lenken. Viel Spass dabei!

 

Eure Roya Saberi

 

   


Störende Gedanken loswerden mit dem WAVE-Prinzip (R)


...(W)ahrnehmen

Fang an, deine Gedanken bewusst wahrzunehmen. Was denkst du in bestimmten Momenten? Sind die Gedanken für die Ausübung deiner Tätigkeit hilfreich oder störend? Schreib sie auf.


...(A)nhalten

Halte negative und störende Gedanken bewusst und entschlossen an!


...(V)erändern

Formuliere neue Gedanken und Sätze, die dich bei deiner Tätigkeit unterstützen und deine Leistung fördern.


...(E)inüben

Sprich deine neuen Gedanken laut aus! Übe sie in deinem Alltag ein und verinnerliche sie Schritt für Schritt.



Positive Selbstgespräche

  • Gute und hilfreiche Selbstgespräche sind immer realistisch und wirken leistungsfördernd.
  • Sie sind gegenwarts- oder zukunftsorientiert.
  • Sie sind positiv und in Ich-Form formuliert.
  • Sind kurz und prägnant und mit wenigen Schlüsselwörtern versehen.
  • Sind lösungsorientiert und handlungsrelevant.
  • Thematisieren die eigenen Stärken.
  • Werden in den Trainingsalltag integriert und laufend eingeübt.

Viel Spass!

 

 

Quelle:

Wetzel,Jörg (2010), Gold

Eberspächer, Hans (1990), Mentales Training

Scheidt & Prohl (2003), Kursbuch Sport-Trainingslehre